Best of hässlich

365 Tage

100 Zeichnungen

Was ursprünglich als lose Kollektion „Best of hässlich“ als tägliche kreative Auszeit begann, ist inzwischen ein fester täglicher Begleiter geworden. Über Durchhaltevermögen, Regelmäßigkeit und Stilfindung.

06. November 2023

Der Herbst und Winter des Jahres waren für mich persönlich sehr herausfordernd. In einem Telefonat mit einer Freundin entstand die Idee einer täglichen kreativen Auszeit mit dem Titel „best of hässlich“. Eigentlich war das Ergebnis für etwas ganz anderes geplant, doch es entpuppte sich als super Hilfe zur Selbsthilfe, Reflexion und vielleicht auch Stilfindung.

Für die nächsten 100 Tage wollten wir Zeichnungen sammeln, die einfach entstehen durften. Und das ohne jegliche Bewertung von uns oder des anderen. Es durfte einfach drauflos gemalt werden, um den handwerklichen, erschaffenden Moment mit sich genießen zu können.

Anfänglich war das schwer: Es war schwer mir täglich die Zeit zu nehmen, obwohl das Büchlein winzig ist und die Seiten damit auch echt schnell zu befüllen sind! Und es war schwer, ein Motiv für die weiße Seite zu finden. Denn häufig war viel Druck dabei, heute noch dafür malen „zu müssen“. Außerdem erschuf ich mir immer wieder Grenzen, wie die Sketche aufeinander aufbauen könnten, welches Thema ich von nun an verfolgen möchte oder mit welchen Stiften ich ab jetzt ausschließlich malen möchte. Doch diese Grenzen musste ich viele Male einreißen. Hilfreich dabei war der tägliche Fotoaustausch. Er schuf eine Verbindlichkeit, mir immer wieder die Auszeit im Alltag einzubauen. Und damit war es ein anstrengendes Training, mir diese wertvolle Kreativzeit zu nehmen. 🙂

Januar 2024

Mit dem Jahreswechsel kam unser Rhythmus allerdings ins Schwanken. Erstmal war es okay, weil über die Feiertage einfach immer viel los ist. Doch seit dem hatte ich keine Phase mehr, in der ich 30 Bilder am Stück geschafft habe. Mit dem verlorenen Rhythmus ging leider auch der Kontakt auseinander. Doch das Projekt ist geblieben. Ich wollte die 100 unbedingt schaffen.

Hässlichkeit erlauben

Allmählich kam ich dahin, nicht vornehmlich nach Motiven zu suchen, sondern die Stimmung, in der ich war, irgendwie festzuhalten. Mir gelang es immer besser, die erste Intention für ein Bild umzusetzen und nicht nach einem „noch besseren Motiv“ zu suchen. Jeder weitere erreichte 10er-Block war ein Glücksmoment, der mich näher an die 100 brachte. Es fühlte sich gar nicht mehr weit weg an, und doch sollte es bis zu einem Jahr dauern, bis sie endlich erreicht war.

Immer wieder probierte ich neue Techniken aus oder fühlte mich in altbekanntem Terrain einfach kurz wohl. Mit geschenkten Wachsmalstiften verspürte ich plötzlich eine andere Stärke in mir. Die Farben waren für meine Verhältnisse extrem kräftig und laut. Und mit der Beschaffenheit der Stifte ließen sich Details eben nicht so schön ausarbeiten. Es durfte ungenauer werden. Ich erlaubte mir mehr „Hässlichkeit“, ein zaghaftes „über die Stränge schlagen“. Diese vermeintlich hässlichen Seiten zeigen aber einen Teil von mir, der mir extrem schwerfällt: Mut zu haben, etwas nicht zu können, etwas nicht zu meiner Zufriedenheit auszuarbeiten, es so stehenzulassen. Rückblickend geben mir die Seiten heute Inspiration für neue Techniken oder Motive. Und irgendwie belustigen sich mich auch.

Am eindrucksvollsten waren jedoch die letzten 10 Seiten. Ich nahm mir vor, diese mit meiner schwachen Hand zu malen. Was mir sofort auffiel, dass mein Gehirn total herausgefordert war. Ich spürte förmlich den Denkmuskel arbeiten! Dadurch kamen mir einerseits andere Ideen. Anderseits sehe ich auch einen anderen Stil, der durch die wackelige Stiftführung entsteht. Die krakeligen Linien gefallen mir gut, gerade weil sie lockerer sind und keine Möglichkeit für winzige oder korrekte Details bleibt. Diese Art kann ich mir gut als Ideenfindungs-Technik für die Zukunft vorstellen.

Orte an den ich gemalt habe

am Schreibtisch, im Bus bei Regen, an einem See, stehend im Zug, am Kanal in Münster bei Eiseskälte, im Park, im Auto (parkend!!), auf dem Bahnhofsvorplatz von Straßburg, im Flixbus, in Bologna auf der Buchmesse und in der Stadt, regelmäßig irgendwo auf dem Boden, beim Bäcker, am Bordstein eines Kreisels im Sonnenschein

Materialien, die ich verwendet habe

Fineliner, Aquarellkasten, Bleistift, Wachsmalstifte, Filzstifte, Aquarellbuntstifte

Fazit

Inzwischen gehört das kleine quadratische Buch zu meinem festen Bestandteil in der Tasche. Es gibt mir Ruhe, wenn ich unterwegs weiß, dass ich jederzeit die Möglichkeit zum Malen habe. Dabei kann ich Gedanken sortieren, sie für einen Moment verlangsamen und mit neuer Energie zurückkommen. Das Blättern durch das Buch ist ein bildlicher Rückblick auf das vergangene Jahr. Ich bin stolz, die 100 erreicht zu haben und auch ehrlich damit einverstanden zu sein, nicht jeden Tag gemalt zu haben. Die Zahl war das Ziel und dabei habe ich viel über Regelmäßigkeit, Durchhaltevermögen und was Malen für mich bedeutet gelernt.

Danke für den Anstoß.

Das Video zum Schnelldurchlauf findest du hier .

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